Dr. Jan Dörendahl ist Teammitglied der Forschungsgruppe Computer-Based Assessment von Professor Dr. Samuel Greiff an der Universität Luxemburg, hat dort an der Entwicklung des ID37 Messinstruments mitgearbeitet und ist unser wissenschaftlicher Sparringpartner. Jan hat gerade seine Doktorarbeit über die Erfassung grundlegender Motive abgeschlossen. Wir gratulieren herzlich und nutzen die Gelegenheit, ihn nach den neuesten Erkenntnissen in Sachen Persönlichkeitsveränderung zu befragen.
Die Frage, wie sehr wir uns verändern können, stellen sich viele Menschen. Wir leben in einer Ära der Selbstoptimierung. Die Forschung beschäftigt sich schon lange damit, ob sich unsere Persönlichkeit über die Zeit verändert und ob wir das gezielt bewirken können. Wir sind an Jans Standpunkt interessiert.
Wenn wir von Persönlichkeit sprechen, meinen wir die Individualität des Menschen hinsichtlich körperlicher Erscheinung und der Regelmäßigkeiten des Verhaltens und Erlebens (Asendorpf, 2015). Der Begriff der „Regelmäßigkeit“ impliziert dabei eine zeitliche Stabilität und tatsächlich beginnt die menschliche Persönlichkeit sich bereits im Kindes- und Jugendalter zu stabilisieren (Asendorpf, 2016).
Dies bedeutet jedoch nicht, dass sich die Persönlichkeit eines Menschen im Laufe des Lebens nicht mehr verändert. Früher galt die Annahme, dass die Persönlichkeitsentwicklung ab dem 30. Lebensjahr abgeschlossen ist, aber aktuellere Befunde sprechen gegen diese Annahme (Asendorpf, 2016). Studien, in denen Menschen über einen längeren Zeitraum begleitet wurden, liefern Hinweise auf eine Veränderung der Persönlichkeit durch Reifungsprozesse und das Auftreten kritischer Lebensereignisse (sog. Major Life Events). Als gut gesicherter Befund reifungsbedingter Persönlichkeitsveränderung gilt beispielsweise die Zunahme von Gewissenhaftigkeit etwa bis zum 40. Lebensjahr (Roberts et al., 2006; Specht et al., 2011). Während sich diese Veränderungsprozesse über mehrere Jahre erstrecken, gibt es auch Persönlichkeitsveränderungen, die mit einzelnen kritischen Lebensereignissen assoziiert sind. So sinkt beispielsweise Extraversion nach der Eheschließung stärker ab oder Gewissenhaftigkeit steigt nach dem Eintritt in das Berufsleben stärker an (Specht et al., 2011). Unsere Persönlichkeit verändert sich also dadurch, dass wir älter und reifer werden und bestimmte Ereignisse erleben.
Können wir unsere Persönlichkeit auch gezielt verändern? Beispielsweise unsere Extraversion nach oben schrauben, wenn wir gerne leichter mit anderen Menschen in Kontakt kommen wollen? Durch die beginnende Stabilisierung der Persönlichkeit im Kindes- und Jugendalter wären dahingehende Interventionen im Erwachsenenalter wohl wenig vielversprechend (Asendorpf, 2016). Wäre eine interventionsinduzierte Veränderung der Persönlichkeit möglich, würden Menschen einander in Bezug auf die Persönlichkeit wohl zunehmend ähnlicher und die Individualität würde ein Stück weit verloren gehen. Gewisse Persönlichkeitseigenschaften gelten als eher erwünscht und andere als eher unerwünscht (Asendorpf, 2015) und entsprechend wäre wohl das Bestreben, erwünschte Eigenschaften zu verstärken und weniger erwünschte Eigenschaften abzuschwächen.
Abschließend lässt sich sagen, dass es einen gewissen Spielraum gibt. Jeder Mensch hat seinen Bereich, in dem er sich entsprechend seiner Persönlichkeit verhält. Innerhalb dieses Bereichs sind situative Schwankungen möglich, die man mit den richtigen Methoden in Verhaltensgewohnheiten überführen kann. Aber in der Regel wird aus einer schüchternen Person keine kontaktfreudige. Wie sinnvoll es überhaupt wäre, wenn wir uns alle in die gleiche Richtung entwickeln könnten, ist eine andere Frage.
Als Teil des ID37 Entwickler-Teams an der Universität Luxemburg hat Dr. Jan Dörendahl die Autoren des Buchs „Die ID37 Persönlichkeitsanalyse – Bedeutung und Wirkung von Lebensmotiven für effiziente Selbststeuerung“ wissenschaftlich begleitet.
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Quellen:
Asendorpf, J. (2015). Persönlichkeitspsychologie für Bachelor: Mit 43 Tabellen (3., aktualisierte Auflage). Springer.
Asendorpf, J. (2016). Stabilität, Veränderung und Vorhersagekraft der Persönlichkeit: Beiträge der Persönlichkeitspsychologie. In K. Sonntag (Hrsg.), Personalentwicklung in Organisationen (4. Auflage). Hogrefe.
Roberts, B. W., Walton, K. E., & Viechtbauer, W. (2006). Patterns of mean-level change in personality traits across the life course: A meta-analysis of longitudinal studies. Psychological Bulletin, 132(1), 1–25. https://doi.org/10.1037/0033-2909.132.1.1
Specht, J., Egloff, B., & Schmukle, S. C. (2011). Stability and change of personality across the life course: The impact of age and major life events on mean-level and rank-order stability of the Big Five. Journal of Personality and Social Psychology, 101(4), 862–882. https://doi.org/10.1037/a0024950